Eine Frage der Zeit

25. Juni 2019 | Cindy Wüst

Eines wissen wir alle. Die Zeit vergeht so wahnsinnig schnell, dass jeder feststellt, dass wir viel zu wenig davon haben. In der Kommunikation mit Freunden, Kunden und Familie herrscht überall die einhellige Meinung darüber, dass die Zeit zu schnell vergeht. Vor ein paar Jahren habe ich einmal die These aufgestellt, dass sich vielleicht die Erde schneller dreht und deshalb wirklich eine Stunde keine Stunde von damals mehr ist. Bei einer scherzhaften Befragung von Google nach genau dieser Frage stellte ich erstaunt fest, dass sich die Erde tatsächlich unterschiedlich schnell dreht. Aber dabei haben wir immer mehr als 24 Stunden für einen Tag Zeit. Es sind natürlich nur ein paar Millisekunden – das reicht nicht um ein Konzept eher fertig zu bekommen, ein paar Bilder mehr zu malen oder nebenbei mal eben Beethovens 9. Sinfonie auf dem Klavier aus dem Ärmel zu schütteln. Kurzum – meine Theorie mit der schneller drehenden Erde ist damit jedenfalls außer Kraft gesetzt.

Doch woran liegt es denn dann? Dieser Frage muss jeder für sich selbst nachgehen. Kein Tagesablauf gleicht dem anderen und jeder hat seine eigenen Prioritäten. Ich halte es für sehr erstrebenswert, sich einmal mit dem Thema mehr auseinander zu setzen, als ständig nur darüber zu klagen, dass man zu wenig Zeit hat. Aber was hat das Ganze eigentlich mit Kaffee zu tun?

Kaffee & Co: Eine Frage der Zeit

In unserem Haushalt bin ich die Einzige, die Kaffee trinkt. Und das auch höchstens einmal am Tag – und dann auch noch unregelmäßig. Daher war schnell klar, dass der wertvolle, beschränkte Platz in der Küche nicht durch eine Kaffeemaschine und damit durch ein weiteres elektrisches Gerät, zugestellt werden sollte. Ich behalf mich mit löslichem Kaffeegranulat und dem Wasserkocher. Das sparte vorallem eins: Viel Zeit. Aber ganz ehrlich: Mit dieser Variante kann man es auch lassen, Kaffee zu trinken. Also traf der Wunsch nach geschmackvollem Kaffee auf meine Nachhaltigkeitsphilosophie. Ich fand eine wunderhübsche Glaskanne mit wiederverwendbarem Aufsatz-Filter und eine handbetriebene Kaffeemühle. Fehlte zum neuen Kaffeeglück nur noch der passende, ökologische und nachhaltige Kaffee. Hier entschied ich mich für Green Cup Coffee Pacha Mama. Das sind fair gehandelte Kaffeebohnen aus Peru.

Beim ersten mal Kaffeebohnen mahlen, per Hand aufbrühen und genießen war mir die Zeit natürlich egal. Auch die folgende Male war es einfach nur Klasse, meinen Kaffee auf diese Art und Weise zuzubereiten. Aber irgendwann ertappte ich mich dabei, dass ich zu mir selbst sagte: Ein Kaffee wäre jetzt schön, aber ich habe keine Zeit mir einen zu machen, weil ich arbeiten muss. Als mir das immer öfter bewusst wurde, musste ich handeln. Mich zu genau dieser Pause zwingen, mir meinen Kaffee auf diese höchst wundervolle Art zuzubereiten. „Gut Ding will Weile haben.“ So heißt es doch so schön. Denn alles braucht einfach seine Zeit.

Und genau das war mein Anstoß, über mich und die Zeit nachzudenken. Natürlich habe ich weiterhin volle ToDo-Listen und könnte oft bis nachts arbeiten. Aber darunter leidet über kurz oder lang die Qualität meiner Arbeit. Wenn ich übermüdet bin, dann passieren Schusselfehler – das möchte kein Kunde und ich natürlich auch nicht. Deshalb ist es wichtig, Pausen zu machen. Raus aus der Arbeitssituation, ein paar Schritte gehen, frische Luft schnappen oder eben einen aufwendigen Kaffee kochen. Die Zeit in so etwas zu investieren ist genau richtig und wichtig. Alles braucht seine Zeit – vorallem wenn es gelingen soll. Und wenn es Qualität haben soll.

Schnelllebigkeit und Kurzlebigkeit

Nachdem mir nun klar war, dass ich meine Einstellung ändern muss, hinterfragte ich immer mehr, was ich wann und warum tue und vorallem, wie es dazu kommt, dass ich mich so unzufrieden mit der vorhandenen Zeit fühle. Ich denke, vieles ist darauf ausgelegt, schnell zu sein. Technische Geräte müssen durch Innovationen schnell veraltet sein, damit man in den Zwang gerät, etwas Neues zu kaufen. Haushaltsgeräte dürfen nicht mehr so lang halten, damit man in den Zwang gerät, etwas Neues zu kaufen. Alles wird irgendwie weiterentwickelt, damit man in den Zwang gerät, etwas neues zu kaufen. Aber sollte hinter dieser ganzen Zeitknappheit nur das Geld stecken? Geld was man durch mehr und schnellere Arbeit verdienen muss? Das wäre ein logischer Zusammenhang.

Aber das allein ist es nicht. Es kommt der gesellschaftliche Zwang und neue Möglichkeiten hinzu, wie man seine Zeit verbringen kann. Wie oft habe ich in der Vergangenheit jeden Morgen und Abend einmal quer durch meine Facebook-Pinnwand oder durch Instagram gescrollt? Reflektiert gesehen ist es erschreckend, wieviel Zeit JEDEN TAG dafür aufgewendet wurde. Zeit, die für Gespräche oder für Kreativität einfach fehlte. Ein weiterer Punkt sind die gesellschaftlichen Zwänge die man als Eltern aus Schule und Kindergarten auferlegt bekommt. Hier ein Fest, da ein Fest. Dort ein Ausflug. Da was backen, dort die Kinder kutschieren. Setzt man seine Priorität dort hin, kann man sich damit viel beschäftigen. Mir liegt es nicht. Ich bin auf andere Weise für meine Kinder da und deshalb keine schlechte Mutter, weil ich nicht die Erste auf dem Kuchenbasar bin. Daher läuft dieses Thema bei mir auf unterster Prioritäts-Stufe. Nur das Nötigste. Und ich hoffe hier genauso auf Akzeptanz anderer Eltern, Erzieher und Lehrer, wie ich akzeptiere, dass ihnen Elternstammtische und Klassenfahrt-Begleitungen wichtig sind.

Prioritäten sind wichtig

„Prioritäten“ ist schon fast ein kleines Zauberwort, wenn es um „Zeit“ geht. Denn nur durch das Setzen von Prioritäten hat man überhaupt die Möglichkeit, sich auf das zu konzentrieren, was einem Spaß macht und wichtig ist. „collect moments – not things“ – Es gibt nämlich ganz viele kostenlose Momente für die man nicht bis spät in den Abend Geld verdienen muss. Einfach das selbst Aufbrühen des Kaffees genießen und beim Bohnen mahlen mal verträumt die Blätter an den Bäumen beobachten. Dafür muss man kein schlechtes Gewissen haben. Denn alles, was mir gut tut, kann ich weitergeben. In meinen Beziehungen und in meiner Arbeit.